Basierend auf vorherigen Studien, die nachweisen konnten, dass Placebo Analgesie Einfluss auf die Empathie der Probanden hatte (RĂĽtgen, 2015a, 2015b, Mischkowski, 2016) wurde dieser Effekt in der vorliegenden Studie weiter untersucht. Informationen zur Entstehung der Placebo Analgesie findet man z. B. bei Colloca et al. (2013), wo die verschiedenen Mechanismen
zur Entstehung einer positiven Erwartungshaltung näher erläutert werden.
Um eine Differenzierung zwischen dem tatsächlichen Einfluss auf die Empathie und einer generellen „Abstumpfung“ durch die Analgesie machen zu können, wurden die Effekte mit dem Empathie-Empfinden gegenüber unangenehmer Berührung verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass Placebo Analgesie sowohl die Empathie für Schmerzen, als auch für unangenehme Berührung reduziert hat. Jedoch konnte nur im Schmerzexperiment eine Blockierung dieses Effekts durch Naltrexon erreicht werden, was dafürspricht, dass hierbei andere psychopharmakologische Prozesse eine Rolle spielen. Auch fMRI Scans weisen auf unterschiedliche Hirnregionen hin, wobei es auch einige Überschneidungen gibt.
Aus der Studie ergibt sich die wichtige Frage, welche Bedeutung diese Effekte für Schmerzpatienten haben könnten. Bisher liegen keine Studien vor, die diese Ergebnisse bei Schmerzpatienten untersuchen. Sollten die beobachteten Effekte replizierbar sein, könnte dies jedoch wichtige Erkenntnisse für soziale Interaktionen von Schmerzpatienten oder Patienten unter Schmerzmedikation liefern. Weiterführende Literatur gibt z. B. auch erste Hinweise auf eine Beeinflussung von prosozialem Verhalten unter Placebo Analgesie (Hartmann et al., 2022).
Diskutiert wurden im Anschluss vor allem methodische Fragestellungen, wie die Umsetzung der Schmerzempathie oder die Konditionierung des Placebo Analgesie. Interessant war auch die Frage der Effektstärken und inwiefern diese gefundenen Effekte eine klinische Relevanz haben. Angemerkt wurde außerdem die in der Studie verwendete Bayesische Statistik.
Colloca L, Klinger L, Flor H, Bingel U. Placebo analgesia: Psychological and neurobiological mechanisms.
PAIN 154 (2013) 511–514
Rutgen M, Seidel E-M, Riecansky I, Lamm C. 2015a. Reduction of empathy for pain by placebo analgesia suggests functional equivalence of empathy and first-hand emotion experience. J Neurosci. 35:8938–8947.
Rutgen M, Seidel E-M, Silani G, Rieˇcansky I, Hummer A,Windischberger C, Petrovic P, Lamm C. 2015b. Placebo analgesia and its opioidergic regulation suggest that empathy for pain is grounded
Mischkowski D, Crocker J, Way BM. 2016. From painkiller to empathy killer: acetaminophen (paracetamol) reduces empathy for pain. Soc Cogn Affect Neurosci. 11:1345–1353.
Hartmann H, Forbes P. A. G., RĂĽtgen M, Lamm, C. Placebo Analgesia Reduces Costly Prosocial Helping to Lower Antoher Person`s Pain, Psychological Science 2022, 33(11), 1867-1881
Durch eine systematische Übersichtsarbeit konnten 22 randomisierte kontrollierte Studienidentifiziert werden, die den Einfluss von mHealth-Interventionen bei chronischenSchmerzpatient*innen erhoben haben. Hier wurde die Effektivität bezüglich derSchmerzintensität, Funktionsfähigkeit und Lebensqualität bei diversen Krankheitsbildern wiechronische untere Rückenschmerzen, chronische Nackenschmerzen, Fibromyalgie, Arthroseetc. erörtert. Die durchgeführten mHealth-Interventionen werden dabei in ihrer Komplexitätsehr heterogen eingesetzt und liefern abhängig von der jeweiligen Diagnosegruppeunterschiedliche Ergebnisse. Grundsätzlich scheinen M-Health-Tools allerdings als Teil einerbio-psycho-soziale Intervention das Management von chronischen Schmerzpatient*innenpositiv beeinflussen zu können.
Bei der Diskussion lag das Hauptaugenmerk auf der Fragestellung, inwieweit eine Appindividuell und patientenzentriert auf die jeweilige Diagnose und das genaue Beschwerdebildeingehen kann. Durch künstliche Intelligenz scheinen Potenziale zu entstehen, die allerdingsnoch nicht eine speziell an die Bedürfnisse der Patient*innen ausgerichtete Behandlungersetzen könnte. Zusätzlich kann auch hinterfragt werden, ob zwischenmenschliche Aspektebei einer app-basierten Therapie fehlen.Bezüglich der Methodik des Reviews wurde insbesondere die Heterogenität derInterventionen und Kontrollgruppen angemerkt. M-Health-Interventionen reichen dabei vondem Monitoring (z.B. Schmerztagebücher, Aktivitätstracking) bis hin zu komplexenBehandlungsinterventionen, die edukative Inhalte mit körperlichen Übungen kombinieren.Bei der Kontrollgruppe wurde ebenfalls die Heterogenität kritisch angemerkt und dass beieiner Warteliste nicht nachvollzogen werden kann, welche Leistungen die Patient*innen indieser Zeit in Anspruch genommen haben.Durch den Einschluss verschiedensten Krankheitsbilder lässt sich leider nur wenig für eineeinzelne Diagnose aus dem Review schlussfolgern. Andere Reviews zeigen allerdings bereitspositive Effekte für Schmerz und Funktion bei chronischen Schmerzpatient*innen, wenn eineApp als Teil einer Therapieintervention zusätzlich genutzt wird (Pfeiffer et al., 2020).In dem Review wurden keine Effektstärken angegeben. Diese könnten nachträglichrecherchiert und analysiert werden. Ein weiteres zukünftiges Forschungsfeld könntenqualitative Erhebungen sein, die ermitteln was Patient*innen von einer App bei chronischenSchmerzen erwarten und wie das Selbstmanagement am besten gefördert werden kann. EineFokussierung auf Kinder und Jugendliche scheint ebenfalls interessant, da diese Zielgruppeeine Affinität zu Apps aufweist und immer mehr von chronischen Schmerzen betroffen ist
Thema: Effektivität einer neurophysiologischen Schmerzedukation bei chronischen unteren Rückenschmerzen
Referent/in: Cathleen Mylius